Dorothea Iser
eisblumen
auf meiner wiese blühen worte
manche duften
andere summen
sie durchtanzen gedanken
reihen sich aneinander
steigen mir zu kopf
lärmen und drängen hinaus
das leben ist bunt
komm mit uns rufen sie
ich spüre schon frost
schließe das fenster erschöpft
am morgen sehe ich
blasse gesichter
an den scheiben glitzern
märz 2022
zuerst stirbt die wahrheit
heißt es vom krieg
aber das stimmt nicht
schon lange vorher
wurde sie erschlagen
wir irren
zwischen den fronten
kämpfer auf der suche
nach einem weg
vorboten
gelb schwefelt der himmel
die sonne wacht blauäugig
über erstes grün in den zweigen
die winde entfliehen heulend
dem großen sturm
meine zeit vertickt im schweigen
Petra Taubert
Singen im März
2022
Tief einatmen
und urgeln,
u und a und i und o
Wasser aufwirbeln
im Glas mit Deckel und Trinkhalm.
Stimmbänder lockern.
Es klingt ulkig, bringt mich zum Lachen.
Mut ansingen,
Kraft schöpfen,
Krieg, in meinem Leben -
war immer anderswo.
Bisher.
Herbert Beesten
Wie fing ES an? (im Februar/März 2022)
2023 oder erst 2026
werde ich ES der Enkelin erzählen
ja, so fing ES an
sie wird fragen
wusstest du
damals
dass ES da anfing
ich werde ihr sagen
dass ich ES damals noch nicht wissen konnte
dass ES gerade angefangen hat
sie wird fragen
hat DAS nie ein ende
dass man nicht weiß
dass ES anfängt
wie ES anfängt
wer anfängt
immer erst später weiß
wann ES angefangen hat
wie ES angefangen hat
wer angefangen hat
hört DAS denn nie auf
wie lange musstest du warten
bis du wusstest
dass ES genau da angefangen hat
ich werde antworten
überstehen wir diesen KRIEG
dann werde ich dir sagen
wann und wie ES anfing
sie wird fordern
aber dann sagst du mir genau
wann, wie und wo ES anfing
ich werde bitten
komm du aus dem KRIEG zurück
nur dann werde ich ES dir sagen
an einem tag wie heute
ES hat nie aufgehört immer wieder anzufangen
z.B.: Liste der Militäroperationen Russlands und der Sowjetunion – Wikipedia
Liste der Militäroperationen der Vereinigten Staaten – Wikipedia
Petra Taubert
I'm from Ukrane
(Ich bin aus der Ukraine)
I need to go to Berlin
wiederholte sie in der Regionalbahn.
Die Schaffnerin versuchte,
zu erklären, in welcher Stadt
sie umsteigen muss.
Kurz vorm Aussteigen
schlüpfte sie in ihren Mantel,
zog die Kapuze hoch und tief ins Gesicht, als wollte sie sich verstecken.
Sie versuchte,
den Fahrplan zu lesen
auf dem Bahnsteig in Burg.
Da drüben, sagte die Schaffnerin. Downstairs and upstairs,sagte ich.
Wir liefen gemeinsam rüber.
In einer halben Stunde
fährt der Zug nach Berlin,
zeigte ich ihr auf dem Fahrplan.
Sie machte ein Foto.
Kaum traute ich mich zu fragen,
aus welcher Region sie kommt.
Ich stamme aus Kiew,
es war schrecklich da.
Tränen schossen in ihre Augen,
es war schlimm, ich konnte nicht bleiben. No friends here, alone, doch,
eine Freundin in Berlin,
die vorher floh mit ihrem Kind.
You helped me a lot, sagte sie
und wünschte mir
einen guten Aufenthalt im Dorf.
Ich wünschte ihr,
dass der Krieg bald endet,
der sie weg trieb aus ihrer Heimat. Niemand sollte fliehen müssen vor Bomben und Raketen.
I need to go to Berlin
(Ich muss nach Berlin)
Downstairs and upstairs
(Treppe rauf und Treppe runter)
You helped me a lot
(Sie haben mir viel geholfen)
7. März 2022
Christa Beau
Krieg
Donnerstag, der 24. Februar 2022.
Ich sitze im Wohnzimmersessel, stricke an einer Socke und mache mir nebenbei Gedanken, wie die Geschichte oder der Text aussehen könnte, der unter dem Thema „Am Wasser“ im nächsten Kaleidoskop erscheinen soll. Kaffee duftet neben mir, meine Katzen schnurren vor den Füßen. Ein ganz normaler Tag.
Die Fernbedienung liegt auf dem Tisch.
‚Mal schauen, was es Neues gibt in der Welt‘, denke ich. Schon flimmern Nachrichten über die Mattscheibe.
Nach wenigen Minuten ist nichts mehr so, wie es einmal war.
Krieg in Europa. Die Russische Armee ist in die Ukraine eingefallen. Das Wort Krieg kriecht wie eine Schlange über den Rücken. Ich halte für einen Moment den Atem an und spüre plötzlich Angst. Tränen fließen.
Obwohl der Krieg weit weg ist, ist er doch nah.
Die Erzählungen meiner Oma, die zwei Weltkriege überlebt hat, sind wieder da.
Ich weiß, es wird Tote geben, nicht nur Ukrainer, auch Russen. Junge Männer, Väter, Großväter. Unendliches Leid wird die Zukunft für Kinder, Mütter, Großmütter bringen.
Wenn ich daran denke, dass nukleare Waffen zum Einsatz kommen könnten, weiß ich, der Krieg findet vor meiner Haustür statt.
Ich hoffe, dass die Politiker auf allen Seiten wissen, dass es dann keine Gewinner geben kann, nur Verlierer.
Donnerstag, der 17. März 2022.
Noch immer wütet der Krieg. Millionen Ukrainer fliehen aus ihrem Land. Sie sind in meiner Heimatstadt angekommen. Viele von ihnen wurden von deutschen Familien aufgenommen. Mein Neffe hat die obere Etage seines Hauses für Flüchtlinge eingerichtet.
Bilder von Gebäuden, die von Bomben zerstört wurden, Menschen, zusammengedrängt in Kellern und U-Bahnschächten, Panzer, Bombeneinschläge und immer wieder Ukrainer auf der Flucht zeigen die Reportagen.
Berührende Schicksale, die tief in mich dringen und bis in den Schlaf verfolgen, gehören nun zu meinem Alltag.
Ich sehe vor mir die Mutter, die weinend aus dem ausgebrannten Haus ein wenig Hab und Gut retten will, den Vater, der seine zehn Kinder und die Ehefrau zur polnischen Grenze fährt und doch zurückbleibt, um seine Heimat zu verteidigen, die gebärende Frau, die inmitten von Trümmern ihr Baby zur Welt bringt,
Nahe geht mir das Schicksal von 150 Babys, die in der Ukraine von Leihmüttern geboren wurden. Sie liegen nebeneinander in Glasbettchen, warten auf ihre Eltern, die aus vielen Ländern kommen sollten. Ihre ersten Schreie trafen in eine Welt, die keinen Platz hat für Geborgenheit, Fürsorge und Liebe. Der Krieg tötet überall.
Ein Theater mit mehr als 1000 Zivilisten, die Schutz suchten, wurde in Schutt und Asche gelegt.
Das Leiden und Sterben wird von Tag zu Tag größer.
Die Welt ist empört.
Wie kann man Putin und seine Generäle stoppen?
Donnerstag, der 31. März 2022
Das Sterben hört nicht auf. Putins Soldaten morden, vergewaltigen und zerstören.
Jeden Tag treffen mich tief die Bilder und Berichte aus den Kriegsgebieten. Der Flüchtlingsstrom nimmt kein Ende. Ich fühle Hilflosigkeit, denn meine Möglichkeiten ihnen beizustehen sind begrenzt.
Viele Menschen aus ganz Deutschland reichen die unterstützende Hand. Auch von der Regierung wird getan, was ausführbar ist. Sanktionen, die für unser Land Verluste bringen werden, wurden verhängt, Kriegsmaterial geliefert und verschiedene Güter des täglichen Bedarfs verschickt.
In meiner Familie hat eine Ukrainerin mit ihrem 15-jährigen Sohn Unterkunft gefunden. Sie werden von uns unterstützt, wo es nötig ist. Anmeldungen sind erforderlich, Wohnungen zu besichtigen.
Oksana, die Mutter, musste auf der Flucht operiert werden und erhält hier in Halle die nötige weitere medizinische Versorgung. Erst zahlten wir alles persönlich für sie. Doch nun übernimmt der Staat diese Hilfe.
Viele Tage sind beide auf der Flucht gewesen. Von Donezk über Odessa und Rumänien nach Deutschland. Menschen ermordet auf Straßen liegend, Kinder verstümmelt, Häuser zu Schutt und Asche bombardiert und immer die Angst von Bomben oder Kugeln getötet zu werden, begleitete ihre Flucht. Das, was Russen als Inszenierung, Schauspielerei abtun.
Die Familie hilft beiden sich hier in meiner Heimatstadt einzugliedern.
Die sprachliche Verständigung funktioniert. Die Ukrainer sprechen kein Deutsch, wir nicht ihre Sprache. Doch das Smartphone mit seinem Googleübersetzer lässt uns diese Barriere überwinden.
Morgen wird Dennis, mein Neffe, sie in eine kirchliche Gemeinde fahren, denn sie sind gläubig.
Bald werden es beide geschafft haben, ein eigenständiges Leben zu führen.
Viele Organisationen, Vereine, Gesellschaften bitten um Geldspenden. Bei solchen Spenden habe ich oft ein ungutes Gefühl, weil ich nicht weiß, ob das Geld dort hingelangt, wo es ankommen sollte. Aber für Oksana und ihren Mischa bin ich gern bereit zu geben.
Manchmal höre ich Meinungen, die Putins „Militärische Operation,“ wie er diesen Krieg nennt, rechtfertigen sollen. Dann sehe ich die Massengräber, die weinenden Menschen, die schwer verletzten Kinder vor mir. Für mich gibt es kein einziges Argument, was diesen Krieg als berechtigt erkennen lässt. Er ist ein Verbrechen. Putin gehört als Kriegsverbrecher auf die Anklagebank!!
Haiku
von Christa Beau
Bomben
über Ruinen brennt
der Himmel
Orkanböen
hinter Fenstern
Sofawärme
Im Wartezimmer
ich stricke die Zeit
in eine Socke
Sturm
ein Mann im Wettlauf
mit dem Hut
Märchen schreiben
ich finde mich
zwischen den Zeilen